Kategorien
Modul

Geschichte III – NS-Regime

Während der Zeit des Nationalsozialismus sind Rassismus und Antisemitismus in Deutschland allgegenwärtig, bestimmen die Politik und münden in den Holocaust.

Ideologie der NSDAP

Die rassistische Ideologie der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) ist einerseits durch den Antisemitismus geprägt und andererseits durch sogenannte „Rassentheorien“ und das Konzept der „Rassenhygiene“. Die Weltanschauung der NSDAP war geprägt von der Vorstellung, man könne Menschen in bestimmte „Rassen“ einteilen, die unterschiedlich viel wert seien. Die angeblich „minderwertigen Rassen“ wurden systematisch entrechtet und schließlich ermordet.

Das Ziel der „Rassenhygiene“ im Dritten Reich war es also, dass Volk von angeblich minderwertigen Menschen zu „säubern“. Ausdruck fand diese Politik beispielsweise in den 1935 verabschiedeten Nürnberger Gesetzen, die politische Rechte – also grundlegende Menschenrechte – nur noch denen gewährte, die eine „arische Abstammung“ nachweisen konnten. Die Idee der „Rassenhygiene“ spielte aber auch bei der Begründung der Vernichtungspolitik und des industriell organisierten Massenmords in den Konzentrationslagern eine Rolle und diente als Rechtfertigung für die „Euthanasie“-Politik im Dritten Reich, also der Ermordung von Menschen mit Behinderungen und psychisch kranken Menschen.

Heusenstamm als Beispiel für den totalitären Charakter des NS-Regimes:

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Einmal an den Schalthebeln, nutzten die Nationalsozialist*innen alle Möglichkeiten, die die bestehende Gesetzte boten, um ihre Macht auszubauen. Widerstand und Kritik begegneten sie mit brutalem Terror. Gleichzeitig gewannen sie mit perfekt inszenierten Propagandaaufmärschen weitere Anhänger*innen. So dauerte es kein halbes Jahr, bis die Diktatur überall im Reich etabliert war, so auch in Heusenstamm mit seinen 3300 Einwohner*innen.

  • Anhänger*innen von SPD und KPD wurden eingeschüchtert, zusammengeschlagen und verhaftet.
  • Der SPD-Bürgermeister wurde durch einen NSDAP Anhänger ersetzt und die NSDAP stellte alle Gemeinderäte.
  • Alle Heusenstammer Vereine, die nicht der NSDAP nahestanden, wurden verboten. Darunter der „Arbeitergesangsverein Konkordia“ und der „Arbeiter-Radfahrverein Vorwärts“
  • Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde der Bahnhofsvorplatz in „Adolf-Hitler-Platz“ umbenannt und es fanden Kundgebungen und öffentliche Anhörungen von Hitlerreden statt.
  • In der Volksschule in der Schulstraße wurden Rektor Sperling entlassen, weil er nicht linientreu war. „Rassenkunde“ wurde Unterrichtsprinzip in der Schule.
  • Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, jüdische Geschäfte und Händler*innen zu boykottieren.
  • Alle Parteien außer der NSDAP wurden verboten.

Jüdisches Leben in Heusenstamm, zerstört und vernichtet im Dritten Reich:

Kurz vor der Machtübernahme der Nazis 1933 wohnten in Heusenstamm 30 jüdische Bürger*innen in 7 Familien und machten damit weniger als 1% der Bevölkerung aus. Die ersten Aufzeichnungen von jüdischem Leben in Heusenstamm gehen über 500 Jahre zurück. In der Kirchgasse 20 gab es einen Gebetssaal, der als Synagoge auch von jüdischen Menschen aus der Umgebung genutzt wurde. Auch der jüdische Friedhof ist Zeugnis der festen Verankerung jüdischen Lebens in Heusenstamm.

Die jüdischen Heusenstammer achteten wie auch ihre katholischen Nachbar*innen streng auf ihre religiösen Bräuche. Tür an Tür wohnend, gehörten diese Rituale zum Heusenstammer Alltag. Der Kontakt war vielfältig, über die Nachbarschaft, die Vereine, in der Schule und bei der Arbeit. In Familienangelegenheiten blieb man allerdings auf Distanz. Die Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen war die große Ausnahme, so wie bei der katholischen Heusenstammerin Alice und ihrem jüdischen Ehemann Isidor Gutenstein.

Dr. Roland Krebs engagiert sich im Heimat- und Geschichtsverein in Heusenstamm. Eindrücklich berichtet er im Interview von Isidor Gutenstein, der im gesamten Ort als „der Isi“ bekannt war. Vor seiner Ehe mit Alice lebte er mit seiner Schwester Klara in einem kleinen Haus in der Borngasse 13, das heute nicht mehr steht. Es machte keinen Unterschied, dass er Teil der jüdischen Gemeinde war und er war in der Heusenstammer Stadtgesellschaft bestens integriert und nahm rege am Vereinsleben teil. Viele seiner Freund*innen in Heusenstamm und Offenbach rieten Isidor dazu ins Ausland zu fliehen, da es für jüdische Menschen immer gefährlicher wurde. Obwohl es ihm aufgrund seiner guten Kontakte möglich gewesen wäre zu fliehen, kam es für ihn nicht infrage Heusenstamm zu verlassen. Im September 1943 wurde er im Alter von 47 Jahren in Auschwitz ermordet.

Nach der Machtübernahme der Nazis wurde das Leben für die jüdische Bevölkerung Heusenstamms immer schwieriger. Ihre Ausgrenzung betraf alle Lebensbereiche. So verloren jüdische Beamt*innen ihre Arbeit und durften nicht mehr in den Sportvereinen mitmachen und jüdische Schüler*innen durften nicht mehr auf die Volksschule gehen. Während des Pogroms vom 9. und 10. November 1938 wurde die Synagoge und die Häuser der jüdischen Familien verwüstet. Dabei wurden alle jüdischen Männer für 3 Monate unter unsäglichen Bedingungen im Konzentrationslager Buchenwald eingesperrt. Entlassen wurden sie erst, als sie eine Erklärung unterschrieben, in der sie versicherten das Land unverzüglich nach ihrer Freilassung zu verlassen.

Geschichtsaufarbeitung: „Es gibt noch viel zu tun und wir müssen in der heutigen Zeit wachsam sein“:

Interview mit Gisela Beez

Gisela Beez von der Stolperstein-Initiative Heusenstamm ist die Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Zeit und das Gedenken an die Opfer wichtig. Im Interview berichtet sie über die Hürden, die die Geschichtsaufarbeitung gemacht hat. Vieles bleibt noch zu tun:

  • Zusätzlich zu den schon bestehenden 16 Stolpersteinen fehlen noch 11 weitere für die ermordeten jüdischen Heusenstammer*innen.
  • Es besteht noch kein sichtbares Gedenken an die bis zu 180 Zwangsarbeiter*innen während der NS-Zeit in Heusenstamm.
  • Auch das Schicksal der Heusenstammer*innen, die von Zwangssterilisation und Zwangseinweisung in eine Anstalt betroffen waren, muss weiter recherchiert und ein Gedenken geschaffen werden.
  • Die Schicksale der Menschen, die Widerstand geleistet haben und daraufhin misshandelt, gefolterten und ermordeten wurden muss noch weiter aufgearbeitet werden.

Das Erstarken der neurechten/rechtspopulistischen Bewegung in Deutschland macht Gisela Beez Sorgen und auch deshalb ist ihr die Gedenkarbeit wichtig, um die Kontinuität der rechten Ideologie zu entlarven und die Gesellschaft dazu aufzurufen, wachsam zu sein.

Weiterführende Informationen:

Auch politische Gegner*innen der Nazis und Widerständler*innen aus Heusenstamm wurden in das Gestapo-Gefängnis nach Offenbach gebracht und dort misshandelt. Heute befindet sich an dem Ort das Gebäude der Industrie- und Handwerkskammer. Auf diese und andere Orte der NS-Zeit in Offenbach macht die Offenbacher Geschichtswerkstatt bei ihren antifaschistischen Stadtrundfahrten aufmerksam. Mehr dazu kann in diesem Artikel nachgelesen werden:

https://www.fr.de/rhein-main/offenbach/gestapo-zentrale-stand-11389787.html

Bücher:

Spurensuche: NS-Zeit in Heusenstamm

Beez, Gisela (Autorin)

Mitwirkende: Fischer, Brigitte

Erscheinungsjahr: 1990/ Wolfgang Haas, Heusenstamm (Verlag)

Sie wohnten neben uns“: Die jüdischen Familien in Heusenstamm zwischen 1930 und 1945

Richter-Rauch, Sabine (Autorin)

Mitwirkende: Beez, Gisela

Erscheinungsjahr: 2008/ Selbstverlag

Kategorien
Modul

Geschichte II – Kolonialzeit

Zeitstrahl zur Kolonialzeit

1492 – Ende der Reconquista („Limpieza de sangre“)/ Überfahrt Kolumbus

1494 – Vertrag von Tordesillas

1510 – Beginn des transatlantischen Sklav*innenhandels

1600-1602 – Schaffung der britischen (1600) und der niederländischen (1602) „Ostindien-Kompanie“

1807 – Großbritannien verbietet eigenen Sklav*innenhandel

1815 – Ächtung des Sklav*innenhandels durch Wiener Kongress

1884-1885 – Errichtung der Kolonie „Deutsch-Südwest-Afrika“ (heutige Republik Namibia) und „Togo“ (1884)/ Kongo-Konferenz in Berlin/ Errichtung der Kolonie „Deutsch-Ost-Afrika“ (1885)

1898 – Errichtung einer deutschen Kolonie in Qingdao

1899 – Errichtung der Kolonie „Deutsch-Neuguinea“

1904-1908 – Aufstände der Gruppen Khoikhoin und Herero in Deutsch-Südwest-Afrika, Ermordung von etwa 75.000 Herero (1904 bis 1906); „Maji Maji“-Aufstand auf den deutschen Baumwollplantagen in Deutsch-Ost-Afrika, Ermordung von etwa 200.000 Menschen in den Aufstandsgebieten (1905 bis 1908)

1914 – Hinrichtung von etwa 200 aufständischen Amtsträger*innen – darunter Rudolf Duala Manga Bell, Ludwig Mpundo Akwa, Mandola von Groß Batanga, Martin-Paul Samba – in der deutschen Kolonie Kamerun (1914).

1919 – Unterzeichnung des Friedensvertrages im Schloss zu Versailles nach dem ersten Weltkrieg. Die deutschen Kolonien werden an die Mandatsmächte Frankreich und Großbritannien übertragen

1960 – Dekolonisation einer Vielzahl afrikanischer Staaten, „Afrikanisches Jahr“

2021 – Die deutsche Bundesregierung stuft die Gräueltaten an Herero und Nama als Völkermord ein

Vertiefungen und Ergänzungen

Das Jahr 1492 steht für die „Entdeckung“ Amerikas durch die Überfahrt von Christoph Kolumbus, die zur Eroberung des amerikanischen Kontinents durch die Spanier führte. Gleichzeitig ist es das Jahr des Endes der „Reconquista“, der „Rückeroberung“ der Jahrhunderte lang unter maurischer Vorherrschaft stehenden Gebiete des südlichen Spaniens.

Bereits Jahrzehnte zuvor hatte sich aus religiösem Antijudaismus rassistischer Antisemitismus entwickelt, der in der Vertreibung der Jüd*innen, später auch der Mauren, gipfelte. Die ethnische Homogenität wurde von der spanischen Krone als Voraussetzung für die nationalstaatliche Einheit angesehen. Im 15. Jahrhundert entstand in Spanien auch die Ideologie der „Limpieza de sangre“ – der Reinheit des Blutes. Zum Katholizismus konvertierten Jüd*innen und Mauren wurde vorgeworfen, nur zum Schein konvertiert zu sein. Anders als im Antijudaismus des Mittelalters diskriminierte das frühneuzeitliche Konzept der „Limpieza de sangre“ nicht nur nach rein religiösen Kriterien, sondern nach denen der Abstammung. Insofern gilt es heute in der Forschung als eine Vorstufe des Rassismus.

Im Jahr 1510 segelte das erste Schiff mit 50 schwarzen Sklav*innen von Westafrika nach Haiti. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wurde im Atlantik Sklav*innenhandel betrieben. Europäische Händler*innen transportierten Sklav*innen auf Schiffen, zu Hunderten unter Deck zusammengepfercht, in die Kolonien Nord- und Südamerikas und der Karibik. Die Enge, spärliche Ernährung, Krankheiten und körperliche Gewalt setzten den Gefangenen stark zu – Schätzungen zufolge lag die Sterblichkeitsrate während der Überfahrt bei etwa 15 Prozent. Insgesamt verschleppten die Händler*innen etwa 12 Millionen Menschen auf den amerikanischen Kontinent.

Was wird hier geehrt?

Viele Straßen in Deutschland sind nach Menschen benannt, die aktiv an der Unterdrückung und Ausbeutung anderer Länder und Menschen beteiligt waren oder die rassistische Ideologie der Kolonialzeit mitgeprägt haben.

Das Künstler*innenkollektiv peng! hat gemeinsam mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) eine Aktion gestartet, bei der solche Spuren der Kolonialzeit auf einer Karte sichtbar gemacht werden.

Tear down this shit

Fiktion und Wirklichkeit der Kolonialzeit

Zivilisierte Welt: Gestützt auch auf das Gedankengut der Aufklärung, verstanden sich die Kolonialmächte als die „zivilisierte Welt“, die dem Rest der Welt dabei half, dorthin zu gelangen. Tatsächlich beruhte die koloniale Herrschaft allerdings nicht auf Demokratie und Menschenrechten, sondern im Gegenteil auf Gewaltherrschaft, Sklaverei und Ausbeutung.

Wirtschaft: In der Vorstellung der Kolonialmächte half man anderen Ländern bei der „Entwicklung“. Tatsächlich bestand das Kolonialsystem vor allem aus Ausbeutung von Bodenschätzen, natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften. Wohlstand bedeutete das Kolonialsystem nur für die Kolonialmächte – in den ausgebeuteten Ländern vergrößerte es dagegen die Armut. Auch heute leiden die ausgebeuteten Länder unter den Folgen. Beispielsweise führt die in der Kolonialzeit umgesetzte exportorientierte Landwirtschaft dazu, dass heute viele Nahrungsmittel importiert werden müssen.

Kultur: Die Kolonialmächte verstanden sich selbst als „Kulturnationen“. Mit dem Glauben an die eigene „Zivilisiertheit“ wurden andere Kulturen als minderwertig oder „wild“ abgewertet. Die Auswirkungen: Während der Kolonialzeit wurden beispielsweise in vielen unterdrückten Ländern die Ausübung von regionalen religiösen Praxen oder das Sprechen von regionalen Sprachen verboten. Tatsächlich vernichtete die Kolonialzeit also Kultur.

Der kamerunische Musiker Blick Bassy singt auf Bassa, einer bedrohten Sprache, über die Kolonialgeschichte. Auf Spotify kann reingehört werden.

Wissenschaft: Während der Kolonialzeit beteiligten sich zahlreiche wissenschaftliche Institutionen an der Legitimierung der Herrschaftsverhältnisse. Forscher*innen versuchten mit pseudowissenschaftlichen Methoden die behauptete Ungleichwertigkeit von Menschengruppen zu belegen, beispielsweise durch das Vermessen menschlicher Schädel. Auch für die Bevölkerung innerhalb der imperialen Gesellschaften hatte diese Forschung verheerende Konsequenzen: Die „Eugenik“-Bewegung fußte auf denselben Scheinvorstellungen von Wissenschaft und führte zu Maßnahmen wie Zwangssterilisationen bei sozial benachteiligten Menschen, Menschen mit Behinderung oder Straffälligen.

Kunstgüter: Während der Kolonialzeit wurde massenhaft Kunst nach Europa gebracht. Die Kunst wurde geraubt oder zu lächerlich niedrigen Preisen und unter Zwang verkauft. Die Kolonialmächte lieferten sich einen regelrechten Wettstreit darum, wer die meisten Kunstwerke in die eigenen Museen brachte. Deshalb stehen auch heute noch in europäischen Museen viele geraubte Kunstwerke.

Schule für Ausbeutung und Unterdrückung in Hessen

1898 wurde in der nordhessischen Stadt Witzenhausen die „Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe“ gegründet. An der Schule sollten junge Männer auf ihre Tätigkeit in Kolonien vorbereitet werden. Dokumente aus der Zeit zeigen, dass es bei der Schulgründung nicht nur um Ausbildung ging. Die Einrichtung sollte auch Stimmung machen für ein deutsches Kolonialreich. Ein Zitat des Gründers und ersten Direktors G.A. Fabarius verbirgt diese Absicht kaum:

„Deutsche Söhne aus den besten Kreisen unseres Volkes hineinzuführen in die überseeische Arbeit und ihr den für das binnenländische Spießbürgertum fast anrüchigen Eindruck des ‚Abenteurertums gescheiterter Existenzen‘ zu nehmen.“

G.A. Fabarius, Direktor der Kolonialschule über den Sinn der Kolonialschule in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Deutsche Kolonialschule und ihre Aufgaben“ aus dem Jahre 1908

Auf dem Lehrplan standen vor allem Fremdsprachen, handwerkliche, technische und landwirtschaftliche Ausbildung, aber auch Fächer wie „Völkerkunde“. Texte aus der Schulzeitung „Der Deutsche Kulturpionier“ zeigen, dass an der Schule auch Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen gerechtfertigt wurde. Ein dort veröffentlichter Text mit dem Titel „Herrenmoral und Sklavenmoral“ versucht dem System der Sklaverei einen christlichen Anschein zu geben.

Während des ersten Weltkriegs wurde der Schulbetrieb eingestellt und nach Kriegsende wieder fortgesetzt, obwohl Deutschland nach dem Versailler Vertrag überhaupt keine Kolonien mehr hatte. Während der Weimarer Republik zieht die Schule nach und nach Schüler mit nationalsozialistischer Gesinnung an. Nach der Machtübernahme der NSDAP bestimmt die nationalsozialistische Rassenlehre Ausbildung und Politik der Schule.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs knüpft das „Deutsche Institut für tropische und subtropische Landwirtschaft“, eine Nebenstelle der Universität Kassel, an die Kolonialschule an. Es dauert lange, bis das kolonialgeschichtliche Erbe kritisch aufgearbeitet wird. In Kooperation mit dem Hessischen Rundfunk haben heutige Studierende in Witzenhausen ein Multimedia-Projekt über die Geschichte ihrer Lehranstalt entwickelt:

Perspektivenwechsel: Witzenhausen und sein koloniales Erbe

2016 erschien im avant-Verlag die Graphic Novel „Raus Rein“, eine Sammlung von Comics, die sich mit der Geschichte der Kolonialschule beschäftigen.

Besonders deutlich zeigt sich der Geist, der an der Deutschen Kolonialschule wehte, anhand eines Überfalls auf eine jüdische Wandergruppe in Wendershausen im Jahr 1931:

Dutzende Menschen, die zuvor nationalsozialistische Versammlungen besuchten, griffen verabredet und gezielt eine Gruppe junger, jüdischer Wander*innen an. Die Opfer wurden mit Schlagstöcken und Latten mit Nägeln angegriffen und zum Teil so schwer verletzt, dass sie fortan arbeitsunfähig waren. Fast alle Angreifer waren Schüler der Kolonialschule Witzenhausen. In Vernehmungen der Polizei zeigte sich, dass fast alle von ihnen Mitglieder in nationalsozialistischen Organisationen waren. Vor Gericht verteidigte die Angreifer der damalige Kasseler Anwalt Roland Freisler, der nach der Machtergreifung der Nazis Karriere machte und Präsident des Volksgerichtshofs wurde. In dieser Funktion vollstreckte er in Scheinprozessen etwa 2600 Todesurteile – unter anderem gegen die Geschwister Scholl. In der Verteidigung seiner Mandanten von der Kolonialschule versuchte er dagegen die Tat als einen „Streich“, der aus dem Ruder gelaufen sei, zu verharmlosen.

Einige Jahre später, 1936, erscheint in der Schulzeitung der Deutschen Kolonialschule ein Artikel, in dem die Gewalttat von Wendershausen verherrlicht wird.

Die Skizze des Übergriffs stammt aus einer Ermittlungsakte von 1931. Den Ermittlungsbericht von damals haben wir für Sie vertont:

Im Jahr des antisemitischen Angriffs von Wendershausen besuchte auch Hartwig Golf die Kolonialschule. In den Ermittlungsakten taucht sein Name nicht auf. Golf trat 1965 der rechtsradikalen Partei NPD bei und saß von 1969 bis 1970 als Abgeordneter der Partei im hessischen Landtag.

Kategorien
Modul

Geschichte I – Antike und Mittelalter

Antike

Bereits in der Antike gab es Denkmuster, die dem heutigen Rassismus ähnlich sind. Man kategorisierte Menschen in abwertende Schubladen wie „Barbar*innen“ oder „Wilde“ und schrieb ihnen negative Eigenschaften zu. Mit dem antiken Sklav*innensystem bestand auch schon damals ein Ausbeutungssystem, dass Menschen auf Grund ihrer Herkunft entwertete und ihnen grundlegende Rechte verwehrte. Die Behauptung, der Limes – also die römische Grenzanlage – wäre ein „anti-barbarischer Schutzwall“ gewesen, ist aber eher eine Zuschreibung späterer Jahrhunderte.

Mittelalter

1:

Kreuzzug: 1095 rief Papst Urban II. zu einem Kreuzzug auf, um Jerusalem von den islamischen Seldschuken zu befreien. Viele einfache Leute aus Frankreich und Deutschland zogen durch Europa, um sich zu beteiligen. Auf ihrem Weg ins „Heilige Land“ vernichteten sie viele jüdische Gemeinden, z. B. in Worms, Mainz, Speyer und Köln.

2:

Ritualmordlegende: Vom 11. bis zum 18. Jhd. gab es in verschiedenen europäischen Staaten immer mal wieder das Gerücht, dass Jüd*innen für die Pessachfeier oder verschiedene andere Zwecke das Blut eines Christenkindes bedürften, das sie deshalb ermorden würden. Wenn diese Legende aufkam, kam es anschließend oft zu Pogromen gegen jüdische Gemeinden. In Süddeutschland wurden Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts viele tausend Jüd*innen bei den so genannten „Armleder- und Rintfleisch-Pogromen“ getötet.

3:

Brunnenvergiftung: Vom 14. bis zum 17. Jahrhundert kam es in Deutschland mehrmals zu großen Pestepidemien. Weil man die Ursache nicht kannte, unterstellte man, dass Juden die Brunnen vergiftet hätten.

4:

Hostienfrevel: Nach christlicher Lehre verwandelt sich die Hostie nach ihrer Weihe in Leib und Blut Jesu. Ein Zerstechen der Hostie bedeutet dann eine zweite Ermordung Christi, nachdem „die Juden“ früher schon einmal Jesus am Kreuz getötet hätten. Wenn nun zerstörte Hostien gefunden wurden, gab man Jüd*innen die Schuld und richtete sie hin.

5:

Vertreibung aus Spanien: Ab 1492 stellte die spanische Regierung die im Land lebenden Jüd*innen vor die Wahl, sich entweder taufen zu lassen oder das Land zu verlassen. Wer blieb, wurde getötet.

6:

Judenvertreibungen: Vor allem im 14. Jahrhundert wurden Jüd*innen auf Befehl der Könige aus England und Frankreich vertrieben.

Kategorien
Modul

Was ist Rassismus?

Abwertung von Gruppen von Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer kulturellen Eigenarten oder ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit.

„Jegliche Vorstellung, die eine bestimmte Gruppe als einer anderen ethnischen Gruppe unterlegen oder überlegen betrachtet.“

Ibram X. Kendi, Historiker

„Wenn also jemand glaubt, Schwarze seien von Natur aus Weißen überlegen, dann ist das zwar theoretisch ein rassistischer Gedanke – praktisch aber ein recht wirkungsloser“

Alice Hasters, Publizistin, kritisiert die Definition von Kendi.

„Diese Mückenstiche haben einen Namen: Mikroaggressionen. […] Das können Angriffe und Beleidigungen sein, wie die Verwendung des N-Wortes oder Aussagen wie „Wir sind hier in Deutschland“. Es können unbewusste Handlungen sein – etwa, wenn eine Frau ihre Tasche umkrallt, sobald ich mich in der Bahn neben sie setze. Aber auch das Negieren und Absprechen der eigenen Perspektive und Erfahrungen gehört dazu. Viele Menschen glauben mir nicht, wenn ich sage, dass manche Menschen Angst vor mir haben und mich für eine Diebin halten.“

Alice Hasters, Publizistin

„Rassismus ist ein Ausbeutungssystem, erfunden von weißen Menschen, um gewaltvoll Ressourcen horten zu können, ohne dabei ihr Gefühl der moralischen Erhabenheit und Vernunftbegabung verlieren zu müssen. Weiße Menschen und Körper wurden mit einem Set von positiven Eigenschaften versehen. Zum Beispiel: unschuldig, fortschrittlich, moralisch, fair, vernunftbegabt. Schwarze Menschen und Körper wurden mit einem Set von negativen Eigenschaften versehen, wie etwa: kriminell, faul, emotional. Pigmentierung wurde dadurch zu einer folgenreichen Unterscheidungskategorie aufgeladen.“

Maisha-Maureen Auma, Professorin für Kindheit und Differenz

„Rassismus ist das Märchen über angeborene Eigenschaften, die Annahme, dass wir von Natur aus verschieden seien.“

Alice Hasters, Publizistin

„Rassismus ist eine Lehre, die eine hierarchische Unterscheidung von Menschen vornimmt. Grundlage dieser Unterscheidung sind biologische Merkmale, die als wesentliche Voraussetzung für soziale und kulturelle Leistungsfähigkeit sowie für gesellschaftlichen Fortschritt gedacht werden. Mithilfe dieser Gedankenkonstruktion lassen sich Trennungen entlang einer Beteiligungsachse anordnen: Auf der einen Seite finden sich Menschen, Gruppen und Gesellschaften, die als ›überlegen‹ und infolgedessen als herrschende ›Norm‹ gelten; auf der anderen Seite finden sich Menschen, Gruppen und Gesellschaften, die als ›unterlegen‹ dargestellt und als Abweichung entworfen sind. Ein wesentlicher Grund für die Schaffung einer solchen Rangordnung sind ökonomische, materielle, kulturelle, intellektuelle und soziale Ressourcen, deren ungleiche Verteilung mit rassistischen Argumenten begründet, gerechtfertigt, kontrolliert und auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens durchgesetzt wird.“

Maisha-Maureen Auma, Professorin für Kindheit und Differenz

„Rassismus ist ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen. Es wurde über Jahrhunderte aufgebaut und ist mächtig. Darin wurde die Hierarchie rassifizierter Gruppen festgeschrieben, und die lautet, ganz grob so: Weiße ganz oben, Schwarze ganz unten.“

Alice Hasters, Publizistin

„Rassistische Vorstellungen setzen die Realität außer Kraft und schreiben die Geschichte um, einschließlich unserer eigenen.“

Ibram X. Kendi, Historiker

„Rassismus ist nicht erst die negative Reaktion auf einen angeblichen Unterschied, sondern bereits die Behauptung des Unterschieds.“

Noah Sow, Publizistin

„Rassismus lenkt unsere Wahrnehmung, unsere Deutung und unsere Verarbeitung von sozialen Informationen. Rassismus als System besteht aus alltäglichen Wahrnehmungshilfen, genauer: aus Wahrnehmungsfiltern. Diese Filter bestimmen, wie wir soziale Gehalte einschätzen oder Situationen bewerten, wie wir auf zwischenmenschlicher Ebene agieren oder welche kollektiven Bezugnahmen für uns von Bedeutung sind.“

Maisha-Maureen Auma, Professorin für Kindheit und Differenz

„Jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“

United Nations, 1964

„Die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt.“

Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz