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Rassismus im Alltag

Ich arbeitete in einer Anwaltskanzlei. Als ich Pause hatte, ging ich in den Supermarkt. Da verfolgten mich zwei Männer. Als ich an der Kasse stand, sah ich die Männer nicht mehr. Als ich rausging, sah ich sie beide am Ausgang stehen. Sie sagten mir schlimme und ekelhafte Wörter ins Ohr. Ich ging erst einmal auf die andere Straßenseite. Danach rief ich: ,,Hey ich gehe jetzt in die Pizzeria und rufe die Polizei“. Die Männer lachten mich aus und glaubten mir nicht. Also ging ich in die Pizzeria und sagte der Mitarbeiterin: „Bitte lassen Sie mich die Polizei rufen. Diese zwei Männer draußen verfolgen mich“. Die Mitarbeiterin rief dann die Polizei auch sofort an. Als die Polizei kam, traute ich mich nicht raus. Die Polizei setzte mich in den Polizeiwagen und nahm die Personalien der Männer auf.

Anonym

Ich war, als ich sieben Jahre alt war, in einem Hotel im Urlaub. Ein Mitarbeiter des Hotels half uns mit allem Möglichen. Er wirkte immer sehr nett. Als wir wieder nach Hause fliegen wollten, umarmte er mich. Während er mich so im Arm hielt, fasst er hinten in mein Kleid und betatschte mich. Am Anfang hatte ich es nicht bemerkt. Nach einiger Zeit spürte ich allerdings, dass er schon eine ganze Weile meinen nackten Rücken berührte. Ich habe meinen Eltern nie davon erzählt, weil es mir unangenehm ist.

Anonym

In der Grundschule wurde oft gesagt, dass ich klaue, weil ich Polin bin. Sogar die Lehrerinnen und Lehrer passten bei mir besonders auf, dass ich nichts klaue. Eine meiner Lehrerinnen behauptete sogar, dass ich in Therapie gehöre, weil ich noch nicht so gut Deutsch konnte.

Martyna

Ich war einmal in einem Hof. Es waren 3 Jungs dabei. Wir waren alle befreundet. Mein bester Freund war auch dabei. Die Jungs wollten gerade anfangen, Fußball zu spielen . Als ich dann mitspielen wollte, sagten sie zu mir: ,,Du bist ein Mädchen. Du kannst kein Fußball mit uns spielen“. Auch als mein bester Freund mir helfen wollte und mich mitspielen lassen wollte, klappte es nicht, weil die anderen Jungen es nicht wollten.

Anonym

Als ich mein neues Auto versichern wollte und bei einer Versicherung anfragte, lehnte sie mich mit der Begründung ab, dass ,,Türken signifikant häufig Unfälle verursachen“.

Frau Ceylan

Ich wurde im Kindergarten immer wegen meiner Hautfarbe gemobbt, weil niemand die gleiche Hautfarbe wie ich hatte. Es gab viele, die sich rassistisch verhalten haben, selbst die Erzieherin. Aber als ich dann in die ersten Klasse kam, veränderte sich glücklicherweise alles.

Anita

Mein Mathelehrer in der zehnten Klasse glaubte mir, der einzigen Türkin auf dem Gymnasium, nicht, das ich ohne Spickzettel und ohne abzuschauen eine Eins in der Mathematikarbeit geschrieben hatte. Daher ließ er mich – trotz zahlreicher Proteste meiner Mitschülerinnen und Mitschüler sowie der Elternschaft – die Arbeit einfach noch einmal schrieben. Als ich direkt vor ihm sitzend die Arbeit wiederholte und damit erwiesenermaßen ohne Schummeln wieder eine Eins schrieb, akzeptierte er endlich mein Ergebnis.

Frau Ceylan

Ich wurde in jeder Schule, auf der ich war, rassistisch diskriminiert und wusste nicht, was das war oder was das sein kann. Es war in einer Schule ganz schlimm. Ich sollte eigentlich in der 3. Klasse sein, aber die Schule hat mich in die 4. Klasse eingestuft. Jeder hat mich wegen meiner Sechsen, die ich deshalb schrieb, ausgelacht. Ich dachte, alle Menschen wären gemein. Aber jetzt weiß ich, dass es auch nette Menschen gibt.

Jana

Ich hatte einen Streit am Telefon mit einem anderen Jungen. Während wir uns stritten, fing er an, meine Herkunft zu thematisieren. Er sagte zu mir: ,,Scheiß-Kurde.“ und ,,Du hast ja gar kein Land.“

Anonym

Meine Mutter, die ein Kopftuch trug und ich wollten uns gerne in eine Bäckerei setzen. Die Bedienung sagte, sie hätten schon geschlossen. Eigentlich schloss die Bäckerei um 18.00 Uhr. Es war erst 17.00 Uhr

Yasmine

Othering

Ob Kinderbücher oder Faschingskostüm: Rassistische Praktiken zeigen sich oft in scheinbar harmlosen Dingen und Situationen. Nämlich dann, wenn Menschen als „fremd“ dargestellt werden. Dabei werden oft Stereotype und Klischees eingesetzt, die auf den ersten Blick vermitteln sollen, hier ist jemand „anders“ als „wir“. Das perfide daran: Häufig haben die dabei eingesetzten Bilder nichts mit der Realität zu tun – sie zeigen lediglich ein Gegenbild zu dem, wie man die eigene Gruppe sieht. Besonders häufig drückt sich das beispielsweise im Gegensatzpaar „zivilisiert“ und „wild“ aus. Ja, es gibt indigene Stämme in den USA, die Federschmuck tragen. Wer sich zu Karneval allerdings als „Indianer“ verkleidet, beschäftigt sich in aller Regel nicht mit der Bedeutung dieser Kleidung innerhalb der jeweiligen Kultur, sondern will in der närrischen Zeit „wild“ spielen, weil man sich an normalen Tagen für „zivilisiert“ hält.

Diese Praktik bezeichnet man auch als „Othering“. Der Youtube-Kanal vom Rosamag erklärt, was dahintersteckt.

Ein Zeit-Interview mit der Kulturwissenschaftlerin Noa K. Ha über Karnevalskostüme und Rassismus: „Kostüme sind nicht unschuldig“

Ein Seminar zu Koloniallinguistik an der TU Dresden setzt sich mit dem Tim und Struppi-Comic auseinander.

Sichtbarkeit

Gangster, Flüchtling oder von Armut betroffen: POC-Schauspieler*innen bekommen häufig nur Rollen, wenn Klischees zu besetzen sind. Der Dokumentarfilm „Kino Kanak“ beleuchtet die Situation

Dieses Gruppenbild von Aktivistinnen der „Friday for Future“-Bewegung wurde von einer großen Presseagentur bearbeitet. Die Agentur schnitt Vanessa Akate aus dem Bild raus. Dadurch wurde die Aktivistin aus Uganda in vielen Presseberichten nicht abgebildet.

Lädt man auf der Plattform Twitter ein Bild hoch, auf dem zwei Personen zu sehen sind – eine hellhäutig und eine dunkelhäutig – dann erscheint in der Bildvorschau die hellhäutige Person. Rassismus macht People of Color weniger sichtbar.

Wer sichtbar wird, bekommt Hass.

Hassbotschaften im Netz treffen vor allem Frauen. Besonders dann, wenn Sie als Menschen mit Migrationserfahrung wahrgenommen werden und sich öffentlich zu politischen Themen äußern.

Schau hier in die Studie „Toxic Twitter“ von Amnesty International über Hassbotschaften gegen Frauen auf Twitter rein.

Wir haben mit Nava Zarabian von der Bildungsstätte Anne Frank über Hass im Netz gesprochen.

Zugehörigkeit

Wer gehört dazu und wer nicht? Menschen mit Migrationserfahrung und Menschen mit familiären Wurzeln in anderen Ländern machen immer wieder Erfahrungen von Ausgrenzung. Anerkennung und Zugehörigkeit erfahren viele nur dann, wenn sie besonders herausragende Leistungen vollbringen. Das zeigte exemplarisch die Debatte um den Rücktritt vom Gelsenkirchener Mesut Özil aus der Fußballnationalmannschaft. In der Folge sammelten sich viele Menschen unter dem Hashtag #MeTwo und berichteten von ihren eigenen Ausgrenzungserfahrungen. Ein Video der Initiative DeutschPlus blickt auf die Debatte und den Hashtag zurück:

Wohnungsmarkt

Statistisch betrachtet, leben Menschen mit Migrationserfahrung in Deutschland in kleineren Wohnungen und bezahlen mehr Miete als Menschen, die hier geboren wurden.

Laut einer Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erlebten 15 % der Befragten rassistische Diskriminierung bei der Wohnungssuche. Bei den Befragten mit Migrationshintergrund lag der Anteil derer, die rassistische Diskriminierung erlebten bei 35 %.

Rassismus ist auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland ein ernsthaftes Problem. Vor allem viele private Vermieter*innen bevorzugen bei der Vergabe ihrer Wohnungen Menschen mit „deutsch“ klingenden Namen. Wer einen Namen hat, der nach einer anderen Herkunft klingt, oder beim Telefonat mit Akzent spricht, wird oft gar nicht erst zum Besichtigungstermin eingeladen. People of Color, die perfekt deutsch sprechen und einen „deutsch“ klingenden Nachnamen haben, bekommen zwar Besichtigungstermine, erleben vor Ort jedoch häufig abwertende Reaktionen und selten den Abschluss eines Mietvertrags. Nicht nur private Vermieter*innen diskriminieren auf diese Art und Weise. 2021 stellte sich beispielsweise heraus, dass eine kommunal finanzierte Wohnungsbaugesellschaft in Bremen systematisch People of Color und Menschen anderer Herkunft diskriminierte.

Wir haben mit der Antidiskriminierungsberatung „ADiBe“ über Rassismus auf dem Wohnungsmarkt gesprochen:

Broschüren der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Thema Rassismus auf dem Wohnungsmarkt:

Fair mieten – fair wohnen

Nothing to declare

Nothing to declare – Nichts zu erklären. Viele Menschen in Deutschland müssen häufig sehr viel erklären: Wo kommst du her? Was ist das für ein Nachname? Woher kommen deine Vorfahren? Solche Fragen können auch dann nerven, wenn sie „gut gemeint“ sind. Sie zeigen den Befragten, dass sie als nicht zugehörig und anders wahrgenommen werden.

Die vielfach mit Preisen ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin und Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim erklärt auf ihrem Youtube-Kanal, warum die Frage „Woher kommst du“ rassistisch sein kann.

Der Autor und Moderator Sami Omar erzählt, weshalb er auf der Bühne nicht mehr mit der Erwartungshaltung seines Publikums über sein Herkunftsland spielt.

https://www.youtube.com/watch?v=o-xjx1f6K6k

Rassismus und Bewegungsfreiheit

Mal eben in den Urlaub fliegen, wohin Du willst? Ein Privileg, dass nicht jede*r hat, sondern stark abhängt vom Pass, den man besitzt.

Die Webseite Passportindex vergleicht, wie weit man mit welchem Pass kommt.

Mal eben in den Zug steigen und in eine andere Stadt fahren? Für viele Asylbewerber*innen ist das nicht möglich. Für sie gilt die sogenannte „Residenzpflicht“ und sie dürfen sich nur innerhalb des Landkreises der zuständigen Ausländerbehörde bewegen.

Rassismus im Bildungsbereich

Schüler*innen werden im Bildungsbereich auf verschiedene Arten diskriminiert und ungleich behandelt. Die finanziellen Möglichkeiten der Eltern haben in Deutschland großen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern, beispielsweise beim Thema Nachhilfe.

Rassismus zeigt sich im Schulsystem auf verschiedenen Ebenen. Da sind Bemerkungen, vermeintliche „Witze“ von Lehrer*innen oder Mitschüler*innen, die jungen Menschen das Gefühl vermitteln anders zu sein und nicht dazuzugehören. Dieses Gefühl kann auch dadurch entstehen, wenn es Lehrer*innen nicht gelingt, die Aussprache der Namen ihrer Schüler*innen zu lernen.

Die frühe Selektion im deutschen Bildungssystem wirkt sich vor allem für Schüler*innen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, negativ aus. Oft werden die Talente der Schüler*innen wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht wahrgenommen und keine Empfehlung für höhere Schulformen ausgesprochen, obwohl die Kinder in der Lage wären, dort zu bestehen.

Auch in Schulbüchern zeigt sich immer wieder Rassismus. Selbst in mathematischen Fächern kommt dies vor, beispielsweise wenn in Textaufgaben Klischees reproduziert werden.

Die Initiative „DeutschPlus“ hat Stimmen von Betroffenen über Rassismus an Schulen gesammelt.

Fachvortrag des Sozialwissenschaftlers Prof. Dr. Karim Fereidooni über Rassismus in Schule und Gesellschaft.

Sind Noten neutral?
Im Rahmen einer Studie wurden mehreren hundert Lehrer*innen zwei Diktate zur Bewertung vorgelegt. Obwohl in den Diktaten die gleiche Anzahl an Fehlern zu finden war, wurde eine Arbeit schlechter benotet als die andere. Die Forscher*innen führen dies auf das einzige Unterscheidungsmerkmal zurück: Das besser benotete Diktat stammte von einem fiktiven Schüler namens „Max“, das schlechter bewertete von einem Schüler namens „Murat“. Die strukturelle Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund besteht nicht nur im Deutschunterricht, sondern zeigt sich Studien zufolge auch in Fächern wie Mathematik.

Rassismus & Ausgrenzung im Freizeitbereich

Auszeit“ vom Rassismus?

Rassismus und Ausgrenzung finden auch in der Freizeit statt.

Immer wieder kommt es zu Vorfällen, bei denen Menschen aufgrund ihres Aussehens, insbesondere ihrer Hautfarbe, nicht in Clubs gelassen werden.

Vor wenigen Jahren sollte ein muslimischer Schützenkönig seinen Titel abgeben, weil dieser nur christlichen Menschen vorbehalten sei und eine junge Frau, die sich als Nürnberger Christkindl bewarb, wurde aufgrund ihrer Hautfarbe angefeindet.

Auch beim Online-Dating erleben People of Color immer wieder rassistische Situationen, bekommen beispielsweise rassistische Botschaften oder werden in Dates mit Klischeevorstellungen konfrontiert.

Wir haben mit der Antidiskriminierungsberatung „AdiBe“ über Rassismus im Freizeitbereich gesprochen.

Rassismus in den Sicherheitsbehörden

Viele Menschen mit Migrationserfahrung oder People of Color erleben die Polizei nicht als Freund und Helfer, weil sie schlechte Erfahrungen mit Polizist*innen gemacht haben. Besonders häufig kommt es dabei zu sogenanntem „Racial Profiling“: So nennt man Polizeikontrollen, bei denen ohne konkreten Anlass Menschen nach ihrem Ausweis gefragt werden oder Taschen durchsucht werden und von diesen Maßnahmen überwiegend People of Color betroffen sind. Für die Betroffenen sind die häufigen Kontrollen lästig und demütigend, gleichzeitig erzeugen die Maßnahmen bei Passant*innen den Eindruck, dass sie sich gegen Kriminelle richteten und nicht ohne Anlass geschehen.

Auf dem Youtube-Kanal YeboahsVLOGS wird über einen Fall von Racial Profiling berichtet:

https://www.youtube.com/watch?v=mUQgaEvmBMs

Mit dem Thema Rassismus bei der Polizei beschäftigte sich auch eine StreitBar-Diskussion der Bildungsstätte Anne Frank:

Viele People of Color, die in Haft geraten, erleben bei den Sicherheitsbehörden rassistische Aussagen oder rassistisches Verhalten. Das bekannteste Beispiel dafür in Deutschland ist der Fall Oury Jalloh. Oury Jalloh verbrannte in einer Dessauer Polizeizelle, laut der Polizei soll er seine Matratze mit einem Feuerzeug angezündet haben, obwohl er zum Zeitpunkt des Brandausbruchs mit Handschellen gefesselt war. Angehörige von Oury Jalloh und verschiedene Expert*innen gehen davon aus, dass Oury Jalloh ermordet wurde.

Ein Bericht des ARD-Magazins Monitor über den Fall Oury Jalloh: